Wie ich das Universum sehe [1]

 

Neulich habe ich einem Laien den kosmologischen Teil meiner Weltanschauung erklärt.

Lesen Sie hier, was genau ich ihm vermittelt habe.

 

Es liegt nahe, anzunehmen, dass das Universum räumlich unendlich groß ist. Obwohl die Mathematik mit unendlichen Größen einigermaßen gut umgehen kann, beschränken wir uns im Folgenden auf einen räumlichen Ausschnitt vom unendlichen Universum, schon allein deshalb, um das Modell auch etwas anschaulich darstellen zu können.

Dieser Anschaulichkeit soll der zweidimensionale Ausschnitt aus dem Universum dienen, der durch die Projektion des Raumes auf die Ebene eines Stückes Papier gewonnen werden kann, wie es die Abb. 1 zeigt:

 

Abb. 1

 

Ein weißes Blatt Papier würde einem leeren Universum entsprechen. Weil unser Universum mit Sicherheit Materie aller Art enthält, wird es in Abb. 1 durch eine einheitlich graue Fläche dargestellt, die eine - in großen Maßstäben betrachtet - gleichmäßig verteilte Materiedichte repräsentiert. Das bedeutet zugleich, dass zu einem beliebig herausgegriffenen Zeitpunkt im Schnitt nirgends Abweichungen von einer angenommenen  Mittelwertdichte existieren. Die Materiedichte ist demnach nicht vom Ort der Beobachtung (der Messung) abhängig. [2]

Diese Annahmen entsprechen der Verwendung des Kosmologischen Prinzips: Das Universum ist zu allen Zeitpunkten homogen und  isotrop.

 

Für die mathematische Beschreibung des uns sichtbaren Universums ist die Verwendung einer Kugel die geometrisch einfachste Möglichkeit. Durch die von uns verwendete zweidimensionale Projektion wird eine Kugel zu einem Kreis auf unserem Blatt Papier [3]. Würden wir das gesamte Universum betrachten wollen, würde die zugehörige Kugel nicht auf das Blatt Papier passen und beim Rechnen würden wir auch einige Probleme mit unendlichen Größen bekommen. Aus diesem Grund findet sich in der Abb. 1 eine Kugel von passender Größe, wobei der Ort der Kugel auf dem Blatt und deren Größe beliebig gewählt worden sind.

Gewiss ist es nützlich, wenn sich der Betrachter der Abb. 1 vorstellt, dass er es mit einem in die Ebene projizierten räumlichen Auszug vom Universum mit den „Kantenlängen“ von etwa 10.000 * 5.000 (Mpc)2 zu tun hat (1 Mpc =3,086 * 1024 cm).

 

Als nächstes können wir den Ort eines beliebigen Beobachters festlegen. Hierzu existieren sehr viele Möglichkeiten: Der Beobachter könnte sich im Zentrum der Kugel aufhalten, auf deren Oberfläche oder auch irgendwo sonst innerhalb der Kugel. Wir entschließen uns, den Beobachter, der sich wie wir Erdenbürger gewiss auch auf einem Planeten in der Nähe eines Sternes innerhalb einer Galaxie aufhält, auf der Oberfläche der Kugel anzusiedeln. Weiter unten wird sich noch ein Hinweis darauf ergeben, wo sich der Beobachter tatsächlich befindet.

 

Nehmen wir nun an, der Beobachter befinde sich rechts (im „Osten“) vom Kugelmittelpunkt auf der Kugeloberfläche (blauer Punkt in Abb. 1). Von hier aus kann er in die Kugel hineinschauen, speziell auch in Richtung des Kugelmittelpunktes (Blick nach „Westen“). Immer wird er Materie beobachten [4]. Schaut der Beobachter entgegen der Kugelmittelpunktrichtung, d.h. nach „Osten“, wird er ebenfalls Materie wahrnehmen, die sich allerdings nicht innerhalb der bisher betrachteten Kugel befindet. Um auch diese Materie zu beschreiben, ergänzen wir einfach eine weitere gleichgroße Kugel, wie es die Abb. 2 zeigt:

 

Abb. 2

 

Anmerkenswert zu Abb. 2 ist, dass sich die beiden Kugeln nicht überlappen. Ihr Materieinhalt ist voneinander getrennt.

Mit den Blickrichtungen nach „Norden“ bzw. nach „Süden“ verfahren wir nun wie mit den Blicken nach „Osten“ bzw. „Westen“. Hierdurch bekommen wir die Abb. 3:

 

Abb. 3

 

In Abb. 3 ist nun zu erkennen, dass sich die theoretisch aus dem Universum herausschneidbaren Materiekugeln teilweise überlappen, dass sie Anteile ihrer Materie mit anderen Kugeln gemeinsam haben.

Weitere Kugeln bekommen wir, wenn der Beobachter z.B. aus dem Blatt Papier „heraus“ schaut (in Richtung des Lesers dieser Zeilen) bzw. in das Blatt „hinein“ schaut. [5] Diese Kugeln können wir uns ganz einfach vorstellen, obwohl sie auf der Zeichnungsebene nicht so recht darstellbar sind, auch nicht als Kreise.

 

Außerdem sind unendlich viele Beobachter im Universum vorstellbar. Für sie alle ergibt sich ein Kugelgebilde, wie wir es oben skizziert haben. Die nächste Abbildung zeigt nur drei beispielsweise mögliche Beobachterstandorte:

 

Abb.4

 

Das Besondere an dieser Abbildung ist, dass sich die zu den einzelnen Beobachtern gehörenden Kugelgebilde im allgemeinen überlappen können, je nach Nähe der Beobachter zueinander. Wir haben das nur an einer Stelle im Bild realisiert und dabei keine besonders große Überlappungstiefe gezeichnet, um die Abbildung nicht zu kompliziert werden zu lassen.

 

Weil für jeden möglichen Beobachter unendlich viele Blickrichtungen denkbar sind, ergeben sich unendlich viele solcher Kugeln je Beobachter, die sich natürlich meistens überlappen. Die Abb. 5 zeigt z.B. 8 derartige Kugeln: [6]

 

Abb. 5

 

Da alle denkbaren Kugeln identisch sind (Größe und Materieinhalt), ist es ausreichend, nur eine dieser Kugeln theoretisch zu beschreiben. Genau für diese mathematische Behandlung des Problems ist die Friedmann-Gleichung bestens geeignet, die aus den Einsteinschen Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie folgt, wenn diese mithilfe der Robertson-Walker-Metrik gelöst wird. Aus diesem Grund ist es sinnvoll diese Kugeln Friedmann-Kugeln zu nennen.

 

Die Friedmann-Gleichung beschreibt eine Friedmann-Kugel als sichtbaren Teil des Universums, deren Größe sich mit der Zeit verändert. Aktuelle Messwerte deuten auf eine Expansion dieser Kugel hin.

Wenn wir annehmen, dass der Radius dieser Kugel heute gerade so groß ist wie der Weg, der von einem Photon seit Beginn des Expansion zurückgelegt werden konnte, kann ein Beobachter maximal bis zum Mittelpunkt einer jeden ihn umgebenden Friedmann-Kugel schauen. Diese erklärt nun die im Bild eingezeichnete innere Kugel, in deren Mittelpunkt sich der Beobachter befindet: Er kann unter diesen Umständen keine Kenntnis von Ereignissen bekommen, die außerhalb der Oberfläche dieser Kugel stattfinden (eigentlich: stattfanden, denn er blickt stets in die Vergangenheit). Diese innere Kugel ist auch wieder so groß wie die anderen Kugeln [7], d.h. sie ist ebenfalls eine Friedmann-Kugel. Obwohl also das Universum unendlich groß ist, kann ein jeder Beobachter nur Messungen innerhalb dieser Friedmann-Kugel durchführen.

Durch diese Betrachtungsweise können wir insgesamt nicht sagen, ob sich der Beobachter nun auf der Oberfläche von mindestens einer [8] Friedmann-Kugel befindet, oder im Zentrum einer derartigen Materiekugel. Beides ist richtig! In der Quantentheorie existiert ein ähnlicher „Effekt“: Wir können nicht sagen, ob ein Photon ein Teilchen oder ein Welle ist, es trifft beides zu!

 

 

 

Anhang:

 

A1) Dimensionsbetrachtungen zur Robertson-Walker-Metrik

 

An dieser Stelle wollen wir kurz auf die physikalischen Dimensionen der  innerhalb der Robertson-Walker-Metrik (RWM)

 

 

(A1)

 

verwendeten Größen eingehen.

Das Bogenelement ds hat die Dimension einer Länge, d.h. es wird z.B. in cm oder auch Mpc gemessen. Die linke Seite der RWM hat demnach die Dimension eines Längenquadrates.

Das Produkt aus Lichtgeschwindigkeit c und Zeit t (erster Term der RWM auf der rechten Gleichungsseite) hat ebenfalls die Dimension einer Länge. Hierdurch passt die Dimension vom Quadrat des Produktes aus beiden Größen zu der vom Bogenelement.

Die Krümmungskonstante e ist dimensionslos. Hieraus folgt, dass die mitbewegte Radialkoordinate r auch dimensionslos sein muss, da sie im Nenner vom zweiten rechten Term der RWM im Produkt mit e auftritt und dieses Produkt von der dimensionslosen Eins abgezogen wird. Deshalb ist der Ausdruck

 

 

(A2)

 

insgesamt ebenfalls dimensionslos. Damit die Terme 2 bis 4 der rechten Seite der RWM die Dimension eines Längenquadrates haben, muss der Skalenfaktor S(t) die Dimension einer Länge besitzen, d.h. auch er wird z.B. in Mpc gemessen (1 Mpc =3,086 * 1024 cm).

 

 

A2) Zur zeitabhängigen Abstandsveränderung gemäß der Friedmann-Gleichung

 

Der Skalenparameter S(t) beschreibt die in der Literatur häufig erwähnte sogenannte „Raumausdehnung“. Diese „Raumausdehnung“ ist zwar mathematisch denkbar, doch nicht alles was mathematisch möglich ist, kann im Sinne der Physik interpretiert werden.

S(t) allein ist nicht identisch mit dem physikalischen Abstand zwischen zwei kosmischen Objekten, wie z.B. Galaxien. Auch die dimensionslose und zeitlich konstante mitbewegte Radialkoordinate r beschreibt keine physikalischen Abstände. Diese Koordinate dient nur der Nummerierung von Objekten (z.B. Galaxien), die sich auf ihr befinden, wie die folgende einfache Abb. A1 zeigt:

 

Abb. A1

 

Ein einmal an seinem mitbewegten Koordinatenort r „angeheftetes“ astrophysikalisches Objekt (blaue Markierungen in Abb. A1) verbleibt während der Zeit der zeitlichen Entwicklung von S(t) stets an diesem Ort, wenn allgemein mögliche Eigenbewegungen vernachlässigt werden.

Werden die Objekte „äquidistant“ angeheftet (z.B. unter Verwendung nur der ganzen Zahlen wie in Abb. A1 oben), ergibt sich, dass die Materiedichte während der Expansion des Universums homogen und isotrop gehalten werden kann. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die theoretische Kosmologie und die damit verbundene Verwendung der Robertson-Walker-Metrik (RWM).

 

Erst das Produkt aus S(t) und r beschreibt den physikalischen Abstand R(t), wie sogleich für den Fall des flachen euklidischen Raum gezeigt werden soll.

Hierzu betrachten wir reine radiale Richtungen gemäß der RWM, d.h. die Winkel-Differentiale dj und dJ verschwinden beide. Hierdurch nimmt die RWM die Gestalt

 

 

(A3)

 

an. Zu einem festen aber beliebigen Zeitpunkt (dt = 0) ergibt sich für den Eigenabstand R(t)

 

 

(A4)

 

Beschränken wir uns nun auf den flachen euklidischen Raum, für den e = 0 anzusetzen ist, erhalten wir die einfache Gleichung

 

(A5)

 

für den zeitabhängigen Eigenabstand zwischen zwei kosmischen Objekten, die sich jeweils an den mitbewegten Koordinatenorten r1 bzw. r2 aufhalten.

Demnach gilt ganz allgemein R(t) = S(t)r für den sich zeitlich entwickelnden Abstand , wenn eines der beiden Objekte in den Koordinatenursprung (r = 0) versetzt wird.

 

Zur besseren Veranschaulichung sei noch folgende Abb. A2 erläutert:

 

Abb. A2

 

Das Teilbild a) zeigt wieder die mitbewegte Radialkoordinate. Die angegebenen Zahlen nummerieren entlang dieser Koordinate „äquidistant“ gelegene kosmische Objekte.

Für das Teilbild b) wurde ohne Einschränkung der Allgemeinheit angenommen, dass zum Zeitpunkt tE der Emission eines später zum Zeitpunkt tA beobachteten d.h. absorbierten Photons der Skalenparameter S(tE) gerade 1 Mpc betrug (ein einfach zu handhabender Beispielzahlenwert). Hierdurch haben zum beliebig gewählten Zeitpunkt tE alle mittels r durchnummerierten und sich auf der Koordinatenachse nebeneinander befindlichen Objekte gerade den Abstand von 1 Mpc.

Das Teilbild c) zeigt die Abstände der kosmischen Objekte zum Zeitpunkt tA, wenn das Photon gerade absorbiert wird. Der Skalenparameter S(tA) wurde hier zu 2 Mpc gewählt.

Es ist deutlich zu erkennen, dass alle Objekte nach wie vor an ihrem Koordinatenort r verweilen, sich der physikalische Abstand zwischen jeweils zwei Objekten aber verdoppelt hat. 

 

 

A3) Zum von Photonen zurückgelegten Weg (Lichtweg)

 

Wir nehmen als Beispiel an, dass sich ein Photon zum Zeitpunkt tE am physikalischen Ort R1(tE) = S(tE)r1 = 1 Mpc * 1 = 1 Mpc [wegen S(tE) = 1 Mpc und r1 = 1] von der das Licht emittierenden Galaxie (Lichtquelle) löst, um zu einem späteren Zeitpunkt tA am physikalischen Ort R2(tA) = S(tA)r2 = 2 Mpc * 2 = 4 Mpc [wegen S(tA) = 2 Mpc und r2 = 2] einer anderen Galaxie (Lichtsenke) absorbiert zu werden. Die Abb. A3 zeigt den vom Photon zwischen den Zeitpunkten tE und tA zurückgelegten Weg D:

 

Abb. A3

 

In Abb. A3 ist deutlich zu sehen, dass der Lichtweg D = R2(tA) – R1(tE) =  S(tA)r2 – S(tE)r1 größer ist, als der heutige Abstand D(tA) = R2(tA) – R1(tA) = S(tA)r2 – S(tA)r1 = S(tA)[r2 – r1] zwischen den beiden willkürlich ausgewählten Galaxien. Auch der Abstand beider Galaxien zum Zeitpunkt tE ist mit D(tE) = R2(tE) – R1(tE) =  S(tE)r2 – S(tE)r1 = S(tE)[r2 – r1] kleiner als der heutige Abstand D(tA), weil im Falle einer Expansion des Universums S(tE) < S(tA) gilt. D(tE) ist natürlicherweise der kleinste hier betrachtete Abstand, während der Lichtweg D der größte ist.

 

Die Abschwächung der Intensität I des Lichtes nach dem Abstandsquadratgesetz (I µ 1/D2) wird durch den von den Photonen zurückgelegten Lichtweg D verursacht. Dieser entspricht weder der heutigen Entfernung zwischen den beiden betrachteten Galaxien noch der Entfernung zum Zeitpunkt der Lichtemission! Es handelt sich demnach um einen „scheinbaren“ Abstand.

 

 

 

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Copyright by Steffen Haase, Greifswald (1998) and Leipzig (1999)

 

 

Letzte inhaltliche Änderung: 18.01.2007

Letzte Schreibfehlerkorrektur: 04.03.2007

 

 

 

 

 

 

 



[1] Bitte beachten: Die hier getroffenen Aussagen gelten nur für ein flaches euklidisches Universum!

[2] Unterschiedliche Materiedichten könnten durch verschiedenen Graustufen dargestellt werden.

[3] Wir verwenden ab hier den Begriff Kugel für den sichtbaren Teil vom Universum, obwohl wir auf dem Blatt Papier stets nur Kreise sehen.

[4] Direkt wahrnehmen kann er allerdings nur leuchtende Materie.

[5] Um das besser sehen zu können, sollten wir uns das Blatt Papier als ebenen Schnitt durch das räumliche Universum vorstellen. Dann ist sofort klar, dass sich „oberhalb“ und „unterhalb“ dieser Ebene ebenfalls Materie befindet, die dann jeweils anteilig zu den beiden Kugeln gehört.

[6] Diese Bild erinnert mich sehr an eine in meiner Schülerzeit gern mit dem Zirkel konstruierte geometrische Figur.

[7] Ihre Oberfläche verbindet die Mittelpunkte aller denkmöglichen den Beobachter umgebenden Friedmann-Kugeln.

[8] Eigentlich unendlich vieler sich in der Regel überlappender Kugeln!